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Reise zum Meer
Videoinstallation mit zwei Projektionen,
handgeschriebene Texte auf Papier
Ich beginne meine Reise in Konstanz, bei Rheinkilometer Null. Mit mir
trage ich meine motorisierte Spiegelreflexkamera, unbelichtete Filme,
Notizbücher, sowie einen Bauchladen mit Daumenkinos von vorherigen
Wanderschaften. Einige Wochen später, bei Rheinkilometer 1032,6
werde ich das Meer erreicht haben. Ich gehe zu Fuß, manchmal
fahre ich mit dem Schiff, wenn es nicht anders geht, mit dem Zug.
Manche der Menschen, denen ich begegne, werde ich fotografieren. Aber
nicht nur ein- oder zweimal, wie sie es gewohnt sind, sondern 36 Mal.
Jedes dieser Bilder ist ein in der Zeit erstarrtes Porträt von
ihnen. Doch in der schnellen Abfolge, wenn die Bilder übereinander
liegen und als Daumenkino durch meine Finger laufen, werden die
Porträts für Sekunden in meinen Händen lebendig. Dabei
geben die Menschen etwas preis: Ein Lächeln, eine Kopfbewegung,
einen sich verändernden Blick.
Am Rheinfall treffe ich den Tuareg aus der Sahara, der zum ersten Mal
den Rhein sieht und sich sorgfältig notiert, wie viel Wasser in
jeder Sekunde hinabstürzt. Im Elsass begegne ich dem Koch, der die
Stelle im Restaurant am Rhein erst vor fünf Tagen bekommen hat und
vorher im Obdachlosenheim gelebt hat. In Koblenz dem Fährmann, der
seit vielen Jahren Menschen über die Mosel fährt und sich
nicht viel aus dem Rhein macht, der direkt vor seinen Augen
vorbeifließt. Einem Ehepaar in Andernach, dessen Hotel in den
letzten 10 Jahren sieben Mal vom Hochwasser heimgesucht wurde und die
trotzdem bleiben werden. In Köln begegne ich den beiden
Frischverliebten, die am Rheinufer gezeltet haben. Sie sind auf ihrer
ersten gemeinsamen Reise und wollen zum Meer.
Mit den Geschichten und Bildern, die ich meiner Reise entlang des
Rheins zu verdanken habe, kehre ich später an den Fluss
zurück. Ich blättere die Daumenkinos auf einer Brücke
stehend ab und lasse sie anschließend fallen. Sie wirbeln durch
die Luft und schwimmen davon, den Rhein hinab, bis zur Mündung ins
Meer. Bis die Fotos das Meer erreicht haben werden, wird das
Flusswasser die Bildschicht vom Papierträger weggewaschen haben.
Die Gesten und Emotionen der von mir porträtierten Menschen gehen
so im Gedächtnisstrom des Rheins auf. Sie durchmischen und
überlagern sich mit teils Jahrtausende alten Erinnerungen, die der
Fluss in sich trägt. Die Nordsee erreichen weiße Bilder. So
weiß und leer, wie die Seiten meiner Notizbücher am Anfang
der Reise. |
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